Seite 1 von 5
Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrings
Verfasst: 05.04.2015, 12:21
von OPTI-MOG
Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrings
Spezial-Wellendichtring am Vorgelege U411 neue Achsen
Wer schon einmal den großen Wellendichtring außen am Radvorgelege gewechselt hat, ist vielleicht der äußerst knappen Anleitung im Werkstatthandbuch gefolgt. Diese ist jedoch so wenig gehaltvoll, dass er sich praktisch alleine auf seinen technischen Sachverstand verlassen und handwerklich möglichst sauber gearbeitet hat. Dabei handelt es sich um eine hoch komplexe Angelegenheit mit einer langen Entwicklungsgeschichte, die nun so gut wie möglich nachvollzogen werden soll.
Radial-Wellendichtringe zusammen mit ihren Einbauräumen und Funktionsflächen sind hoch entwickelte Systeme und mitunter sehr empfindlich. Das zeigt auch die lange Entwicklungszeit, die der Spezial-Wellendichtring im Unimog 411 seit 1963 hinter sich hat. Denn offensichtlich erst 1972, nicht lange vor dem Ende der Produktionszeit des Unimog 411, hatte man eine dauerhaft gute Lösung gefunden.
Dies ergibt sich aus einer Recherche in den originalen Unterlagen der ehemaligen Daimler-Benz Aktiengesellschaft, hier zunächst in
UNIMOG Type 411a, Ersatzteilliste Ausgabe C, Stand April 1969, von Buch&Bild, Helma Wessel, Rechteinhaberin seit 1994, mit folgendem Ergebnis:
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 05.04.2015, 16:14
von OPTI-MOG
Schon hier erkennt man, dass abwechselnd und mehrfach sowohl am Verschleißring bzw. seiner Dicht- und Gleitoberfläche als auch am Wellendichtring geändert wurde, ohne dass man mit der Dichtheit und Langlebigkeit zufrieden war.
Eine weitere Quelle für Recherchen ist das Werkstatthandbuch UNIMOG 421-411, Stand September 1968 von Buch&Bild. Darin heißt es in den Kapiteln Vorderachse (33) und Hinterachse (35):
Ab FIN 038 734 (1972) bzw. Vorderachsnummer 015 544 wurden Wellendichtringe mit Drall und Verschleißringe ohne Drall eingebaut.
Ab FIN 038 734 (1972) bzw. Hinterachsnummer 015 111 wurden Wellendichtringe mit Drall und Verschleißringe ohne Drall eingebaut.
Diese Angaben stehen zwar in Widerspruch zum Stand des Werkstatthandbuches 1969, denn sie enthalten Nummern aus einer späteren Produktionszeit (1972). Jedoch ergänzen sie die Ersatzteilliste plausibel in die jüngere Vergangenheit hinein. Denn Wellendichtringe mit Drall werden heute als Ersatzteile gehandelt. Möglicherweise ist der Schluss zulässig, dass frühere Wellendichtringe stets ohne Drall ausgeführt waren.
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 07:49
von OPTI-MOG
Die Probleme mit der Dichtung waren für Mercedes-Benz wohl schwerwiegend, da das selbe Dichtsystem in den 1960er Jahren gleichzeitig in Unimog 411, 406 und 421 verwendet wurde. Und man kann sich gut vorstellen, dass mit verschiedenen Lieferanten fieberhaft an seiner Verbesserung gearbeitet wurde.
Der Dichtungshersteller KACO in Heilbronn entwickelte schließlich eine sehr aufwändige Dichtung mit zahlreichen Lippen, die in ihrer Form ziemlich einzigartig war und immer noch ist.
Die seit 1972 lieferbaren Wellendichtringe haben die Teilnummern 416 331 12 58 für links und 416 331 13 58 für rechts. Die Unterscheidung besteht wegen des Dralls, der für die beiden Seiten in gegensätzlicher Drehrichtung (der Nabe) ausgeführt ist. (Denn die Dichtung steht ja fest.)
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 10:45
von Jürgen-Fahlbusch
Hallo Christoph,
Der Dichtungshersteller KACO in Heilbronn entwickelte schließlich eine sehr aufwändige Dichtung mit zahlreichen Lippen, die in ihrer Form ziemlich einzigartig war und immer noch ist.
Das Wort "schließlich" lässt vermuten, dass wir hier am Ende der Entwicklung sind.
Dies kann aber eigentlich nicht sein, denn so mancher Mog Besitzer wechselt auf sogenannte Kassetten-Dichtringe.
Eigentlich hätte ich hier von Dir im Technikbereich bei dem Thema und der Vorbereitung durch Fahrgestellnummernsammlung doch mehr technischen Hintergrund und Beschreibung der Funktionsweisen, Vor und Nachteile etc für den Laien wie mich erhofft als einen hübschen (Boulevard) Artikel. Dennoch natürlich nett zu lesen
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 10:52
von OPTI-MOG
Hallo Jürgen,
die Geschichte ist noch lange nicht zuende. Ich habe sie als "Fortsetzungsroman" angelegt. Jeden Tag ein Bisschen.
Auch die Kassettendichtung wird noch vorkommen. Diesen Aspekt stellen wir aber erst mal zurück und arbeiten uns bis dahin gründlich voran.
Es darf weiterhin gerne "interaktiv" bleiben. Denn bisher schmore ich im eigenen Saft, kann nur auf die vorgenannten Recherchen und Erfahrungen in der eigenen Werkstatt zurückgreifen.
Konstruktive Kritik und neue Fakten an der passenden Stelle sind willkommen!
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 11:55
von Helmut Schmitz
Hallo Christoph
Radial-Wellendichtringe zusammen mit ihren Einbauräumen und Funktionsflächen sind hoch entwickelte Systeme und mitunter sehr empfindlich. Das zeigt auch die lange Entwicklungszeit, die der Spezial-Wellendichtring im Unimog 411 seit 1963 hinter sich hat. Denn offensichtlich erst 1972, nicht lange vor dem Ende der Produktionszeit des Unimog 411, hatte man eine dauerhaft gute Lösung gefunden.
Das Wort "schließlich" lässt vermuten, dass wir hier am Ende der Entwicklung sind
da bist du augenscheinlich nicht auf dem Stand der Zeit, denn das ist nur "die halbe Wahrheit". Dauerhaft war diese Lösung bei weitem nicht und natürlich war weder Daimler noch der Erfinder des Simmerings mit dieser Lösung zufrieden. Die Firma Simrit (gehört heute ebenso wie Burgmann zur Fa Freudenberg) hat daher stetig weiterentwickelt und eine "geniale" Lösung gefunden,
wobei der Simmering und Anlaufring in einer gemeinsamen Kassette sitzt. Dadurch wird der Verschleiß der Welle künftig unterbunden und auf eine auswechselbare Verschleißbaugruppe, bestehend aus Wellendichtring und Anlaufring verlagert.
Diese Technik ist nun nicht ganz neu und wird bereits bereits seit 1992 an den Unimog-Achsen eingesetzt.
Auf deiner oben abgebildeten Liste führst du die verschiedenen Versionen der verbauten Dicht- und Anlaufringe an.
Die Versionen wie sie auch im 421/406/416 verbaut wurden, sind durch aktuelle Techniken ersetzt. Dabei sind keine laufrichtungsgebundenen Techniken mehr verwendet. Wenn man diese wie beim 421 (U40) weiter umschlüsselt, findet man auch dabei die aktuelle ab dem Baumuster 408/418 verwendete Kassettentechnik verbaut. Diese Technik hat neben den Verschleißvorteil eine weitaus robustere äußere Abdichtung.
Der lästige und kostenintensive Austausch der Anlaufscheibe entfällt, der Ring wird einmalig auf die Kassettentechnik angepasst und ein kostengünstiger Kassettendichtring aus aktueller Fertigung ersetzt die alten Wellendichtringe.
Im EPC ist deshalb explizit der Vermerk
"altes Teil darf an dieser Stelle nicht mehr eingebaut werden" aufgeführt und auf die aktuelle laufrichtungsneutrale Technik umgeschlüsselt.
Damit können unsere Schätze auch zukünftig ohne Einschränkungen bei der Ersatzteilversorgung oder Suche nach brauchbaren Teilen am Leben erhalten werden.
ZU klären wäre noch, ob oder ab wann die Achsen auf die 421-Technik umgestellt wurde, hier erfolgte die Umstellung
Fußnote
...Beschreibung
[007]
......Ab Vorderachse:001375
[421]
......ALTES TEIL DARF AN DIESER STELLE NICHT MEHR EINGEBAUT WERDEN
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 12:13
von OPTI-MOG
Hallo Helmut,
Auch die Kassettendichtung wird noch vorkommen. Diesen Aspekt stellen wir aber erst mal zurück und arbeiten uns bis dahin gründlich voran.
Konstruktive Kritik und neue Fakten an der passenden Stelle sind willkommen!
Da bist Du aber wild vorangeprescht! Und es geht hier vorrangig um den Unimog 411.
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 12:19
von krahola
Hallo Christoph,
dank deiner Erläuterungen und die Beschreibung der Unterschiede zwischen rechtem und linkem Dichtring, weiss ich nun, dass die Wellendichtringe der Vorderachse beim Uniknick umgekehrt eingebaut werden muss.
Beim 406 und er Uniknick Hinterachse ist die rechte Achse am kurzen Achsrohr zu erkenen.
Gruss
Torsten
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 13:07
von OPTI-MOG
Genau Torsten,
denn beim UNIKNICK läuft die Vorderachse überwiegend falsch herum.
Zu beachten ist aber auch, dass der passende Verschleißing eingebaut ist, nämlich einer ohne Drall!
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 18:53
von OPTI-MOG
Liebe Unimog-Freunde,
wenn wir uns diesem Thema noch einmal geschichtlich nähern und den menschlichen Aspekt betrachten: Für den damals verantwortlichen Konstruktionsleiter könnte das die "Hölle" gewesen sein.
Drei Jahre oder noch viel länger (von 1963 bis 1972) eine ewige Baustelle zu haben mit völlig unklarem Ende. So was wünschte ich nicht mal meinem ärgsten Feind.
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 06.04.2015, 21:06
von OPTI-MOG
Dichtungstechnik
Und was hat es nun mit diesem Drall auf sich?
Dazu müssen wir ein wenig ausholen und in die Grundlagen der Technik dynamischer Elastomerdichtungen einsteigen - Morgen.
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 07.04.2015, 07:14
von Helmut Schmitz
Hallo Christoph
wenn wir uns diesem Thema noch einmal geschichtlich nähern und den menschlichen Aspekt betrachten: Für den damals verantwortlichen Konstruktionsleiter könnte das die "Hölle" gewesen sein.
Drei Jahre oder noch viel länger (von 1963 bis 1972) eine ewige Baustelle zu haben mit völlig unklarem Ende. So was wünschte ich nicht mal meinem ärgsten Feind.
Dem aufmerksamen beobachter wird sicherlich aufgefallen sein, dass speziell an diese Baustelle bis heute weitergearbeitet wird.
Betrachten wir die Sache einmal von der anderen Seite. Solange der Konstrukteur mit seinen Matarialien stets auf den neuesten Stand bleibt ist er von ungerechtfertigter Kritik geschützt. Wenn man dieses Thema auch bei den aktuellen Modellen verfolgt erkennt man, dass es an dieser Stelle permanent Weiterentwicklungen gibt und auch heute regelmäßig Neuerungen mit den verfügbaren Teilen einfließen.
Es wäre auch schade, wenn sich ein Hersteller auf den Lorberen ausruht und die Modell-Pflege einstellt. Das ist für jeden Maschinenhersteller tägliches Brot, gleichgültig ob es sich um einen kleinen Schalter oder ganze Baugruppen handelt. Mit dieser Aufgabe sind ganze Konstruktionsabteilungen permanent beschäftig. Jeder Konstrukteur wäre heute froh, wenn über einen Zeitraum von mehreren Jahren keine Änderungen notwendig wären.
Da bist Du aber wild vorangeprescht! Und es geht hier vorrangig um den Unimog 411.
ist schon klar, das bezieht sich auch auf den 411er. DB hat seinerzeit auch den 411 mit den neuen Achsen ausgerüstet, um auch in diesem Fahrzeug die neue Technik anzuwenden.
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 07.04.2015, 09:12
von OPTI-MOG
Dynamische Dichtungen für Drehbewegungen haben mindestens zwei
(Dicht-)Kanten. Grund dafür ist, dass eine Dichtkante, die trocken läuft, schnell verschleißt. Je nach Umfangsgeschwindigkeit der darin laufenden Welle oder Nabe kann sie aufgrund der Reibungshitze sogar regelrecht verbrennen.
Um das zu verhindern wird die Geometrie der ersten - dem Ölvorrat zugewandten - Dichtkante so ausgebildet, dass geringe Ölmengen nach außen passieren können. Aber die gewollte Leckage muss auch wieder zurückgefördert werden.
Dies wird im vorliegenden Falle durch den Drall gemacht, den man sich wie ein vielgängiges Steilgewinde vorstellen kann. Bei der Drehbewegung wird anhaftendes Öl in den Ölvorrat zurückgeschleppt. Es bildet sich dann ein Gleichgewicht aus, so dass sich zwischen der ersten Kante (Dichtlippe) und der zweiten Kante (Abweiser) immer eine geringe Ölmenge befindet, welche die Dichtung schmiert.
Eine dritte oder mehrere weitere Kanten des Wellendichtrings dienen nicht mehr dazu, primär eine Leckage zu verhindern, sondern den ersten Abweiser und letztlich die Dichtkante zusätzlich vor Verschmutzung von außen zu schützen. Eindringender Schmutz würde nämlich schmirgelnd wirken und die Dichtung bald zerstören.
Mit diesem Wissen können wir uns nun einen Zwischenstand der Entwicklung ansehen, z. B. den Radial-Wellendichtring zusammen mit Verschleißring mit Drall ca. 1965 (siehe Skizze, die Skizze zeigt die Dichtung im Schnitt und zwar in einem linken Vorgelege unten).
Hierbei gibt es vier wesentliche Elemente (von rechts nach links):
1. Dichtlippe (mit Feder vorgespannt)
2. Drall auf dem Verschleißring
3. Schmutzabweiser
4. Labyrinth mit Stahlblechring
Schwierigkeiten könnte bereitet haben, dass das Rückfördervermögen des Dralls nicht genau passte und/oder das Labyrinth und der Abweiser zu viel Schmutz durchließen, der durch den Spalt zwischen Nabe und Vorgelegegehäuse - aber auch durch die 6 Bohrungen (etwa 5 mm Durchmesser) der Radnabe - leicht eindringen konnte.
(Fehler in der Skizze: Die Wölbung des Stahlblechringes ist genau anders herum.)
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 07.04.2015, 12:34
von krahola
Hallo Christoph,
sehr viele Verschleissringe älterer Unimogs wurden wegen der Verfügbarkeit des Dichtrings abgedreht und poliert.
Ein Drall ist dann in den meisten Fällen nicht mehr vohanden.
Wie wirkt sich ein drallloser Verschleisring auf die Dichtheit, die Standzeit und der von dir beschriebene Funktion des 2. Dichtkante aus?
Gruss
Torsten
Re: Die wechselvolle und spannende Geschichte eines Dichtrin
Verfasst: 07.04.2015, 14:27
von OPTI-MOG
Hallo Torsten,
die seit 1972 lieferbaren Wellendichtringe mit den Teilnummern 416 331 12 58 für links und 416 331 13 58 für rechts dürfen nur mit Verschleißringen ohne Drall verwendet werden.
Bei der Nacharbeit von Verschleißringen ist ein bestimmter Mindestdurchmesser einzuhalten und eine definierte Oberflächengüte herzustellen.
Mehr dazu folgt demnächst.