Vor 100 Jahren: Benz-Gaggenau auf der Automobilausstellung 1921
Die Gaggenauer Benzwerke präsentieren ein breit gefächertes Programm mit einem Urahn des Unimog
Von Michael Wessel
Vom 7. bis 12. September präsentierte sich 2021 die Internationale Automobilausstellung (IAA) in München erstmals mit dem Namen IAA MOBILITY. Vor 100 Jahren, vom 23. September bis 2. Oktober 1921, war auf dem Berliner Messegelände die erste große Deutsche Automobilausstellung (DAA) nach dem Zweiten Weltkrieg mit Spannung erwartet worden, zeigten doch 67 Automobilhersteller ihre aktuellen 90 Personenwagen und 49 Lastwagen – allerdings nur aus inländischer Produktion. Mit dabei auch die Gaggenauer Benzwerke mit einer „Benz Gaggenau Parade“, wie eine Anzeige attraktiv zum Ausdruck brachte. Der Ansturm von 300.000 Besuchern war bei dieser Messe so groß, dass Hallen aus Sicherheitsgründen zeitweise geschlossen werden mussten. Eine Parallele bezüglich des Publikumsinteresses ergab sich 1951, also 30 Jahre später, bei der ersten IAA nach dem Zweiten Weltkrieg.
Benz-Gaggenau auf der DAA 1921
Die Gaggenauer hatten sich auf die DAA 1921 offensichtlich sehr gut vorbereitet. So erschien hierfür ein aufwändiger viersprachiger Gesamtprospekt im Format DIN-A 4 quer, in dem nach einer Werksansicht sehr anschaulich die verschiedenen Aggregate mit ihren Vorzügen vorgestellt wurden.
Bei den lieferbaren Fahrzeugtypen werden aufgeführt: Lastwagen normaler Bauart; Lastwagen mit Sonderaufbauten (Tankwagen, Kipper, Drehgestellwagen); Lastzüge mit Anhängern oder als Sondermodelle für den Holztransport, Lieferwagen mit geschlossenem Kastenaufbau, Omnibusse, Feuerwehr- und Rettungswagen, Kommunalfahrzeuge für die Müllabfuhr oder die Straßenreinigung ebenso wie Gefangenenwagen oder Seuchenwagen. Zu guter Letzt werden angeboten: „Traktoren für die Landwirtschaft, auch als Zugmaschinen für den Verkehr abseits der Kunststrassen und als Lokomobile dienend“. Unimog und MB-trac lassen grüßen!
Insgesamt sind es 17 verschiedene Lastwagen- und drei Lieferwagen-Grundtypen, neun Omnibusse, drei Feuerwehr-Fahrzeuge, drei Kommunalfahrzeuge und zwei Traktoren-Typen.
Schmunzeln muss man, wenn man bei den einzelnen Fahrzeugen jeweils Namen liest. So beispielsweise Ajax, Baku, Cairo, India, Lago, Omega, Osman. Geht man doch meist davon aus, dass die Namensgebung bei den Lastwagen von Mercedes-Benz erst mit dem ACTROS begann. Also alles schon mal dagewesen!
Laut Gesamtprospekt wurden zu den einzelnen Fahrzeugen besondere Kataloge und Beschreibungen angeboten. Und darin ist weiter zu lesen: „Unter allen Verhältnissen, in jedem Klima und vorzugsweise auch in den Tropen haben sich Benz-Gaggenau-Automobile infolge ihrer Zuverlässigkeit und Stärke dauernd bewährt.“
Prachtband in Schlangenleder
Ebenfalls der DAA 1921 verdanken wir einen repräsentativen in Schlangenleder (!) gebundenen deutschsprachigen Prachtband mit 207 Seiten, in dem zunächst stolz die rasante Entwicklung des Benzwerkes beschrieben wird. So ist zu lesen: „Die Fabrik, welche noch im Jahre 1910, als damals nicht unbedeutendes Werk, einen Raum von 27 540 qm (4670 davon überbaut) bedeckte bei einer Belegschaft von 868 Arbeitern und 80 Angestellten, hat bis zum Jahre 1920 ihre Grundfläche auf 130 000 qm erweitert und die Zahl der Arbeiter und Angestellten auf über 2000 erhöht. Bebaut sind von dieser Grundfläche nicht weniger als 46 563 qm. Ein großes Verwaltungsgebäude, das übrigens schon wieder zu klein geworden ist, ein umfangreiches Kasino mit Speiseanstalt, Lese- und Gesellschaftsräumen sind in den letzten Jahren gebaut worden.“
Man kann sich heute glücklich schätzen, dass für die Vorstellung des Werkes ein Fotograf durch die einzelnen Abteilungen geschickt wurde. Die vielen ins Archiv gewanderten Fotos ermöglichen heute einen guten Einblick in die Produktion um 1920.
Wie im Gesamtprospekt von 1921 werden wieder die einzelnen Aggregate und Fahrzeugtypen beschrieben – aber ohne technische Details.
Benz-Gaggenau-Traktoren
Aus heutiger Sicht ist in der Unimog-Stadt Gaggenau sicher besonders interessant, wie seinerzeit der Benz-Gaggenau-Traktor beworben wurde: „Für die Zwecke der Landwirtschaft insbesondere dient der Traktor. Alle Arbeiten auf dem Felde, d. h. die Vorbereitung des Bodens zur Saat, das Säen, Eggen und Walzen, den Zug der Mähmaschine und des Garbenbinders erledigt das überaus kräftige Fahrzeug ebenso ruhig und sicher wie das Rübenernten, die Abfuhr der Felderzeugnisse bis zur bis zur gebahnten Straße oder Bahn.“ Dies hätte auch wieder in einem Unimog-Prospekt aus den 1950er Jahren stehen können. Die Kontur des Benz-Gaggenau-Traktors hingegen erinnert eher an die des MB-trac.
Wie der Unimog ist der Benz-Gaggenau-Traktor Folge eines Weltkriegs mit dem Ziel einer Motorisierung der Landwirtschaft zur Verbesserung der überaus kritischen Ernährungssituation. In beiden Fällen wurde auch der Begriff „Landtraktor“ verwendet. Während der Unimog eine Neukonstruktion darstellte, konnte man beim Benz-Gaggenau-Traktor auf Erfahrungen durch den Bau von Zugmaschinen für die Armee zurückgreifen. Nicht mehr ausgelieferte Zugmaschinen baute man anfangs für den zivilen Gebrauch lediglich um, bevor sie konstruktiv optimiert wurden. Dabei sollten möglichst viele Teile der parallel neu entwickelten Lastwagen verwendet werden. Ein Auftrag also, den Anfang der 1970er Jahre die Konstrukteure des MB-trac bezogen auf vorhandene Teile des Unimog ebenfalls hatten.
Die Hamburger Technische Rundschau berichtete in ihrer Ausgabe vom 27. Juli 1921 über den Benz-Gaggenau-Traktor: „ Wie Versuche der Landwirtschaftsbehörden und im Waldbetrieb gezeigt haben, ist der Traktor außerordentlich geeignet für alle Arbeiten der Landwirtschaft. Pflügen, Schälen, Kultivieren und Grubbern besorgt er mit großer Zuverlässigkeit. Außer für die Zwecke der Bodenbearbeitung im weitesten Sinne kann er mit einer Riemenscheibe ausgerüstet als Lokomobile arbeiten und treibt dann z. B. Dreschmaschine, Strohpresse, Heuaufzug usw. – Angenehm fällt bei der Bodenbearbeitung mit dem Traktor auf, daß er ruhig und sicher seines Weges zieht, und auch da noch durchhält, wo weniger massiv gebaute Traktoren stehenbleiben oder abdriften…“ – Beim Unimog wird heute sogar gesagt: „Er fährt da noch weiter, wo andere Fahrzeuge erst gar nicht hinkommen!“
Benz-Gaggenau-Straßenzugmaschine
Zeitgleich zum Benz-Gaggenau-Traktor wurden mit ähnlichen Konstruktionsmerkmalen Straßenzugmaschinen entwickelt und auf den Markt gebracht. Mit dabei waren auch Fahrgestelle mit Allradantrieb und weiteren Parallelen zu Unimog.
Werbung auch in Gedichtsform
Das Motiv mit dem Buben im Matrosenanzug wurde auch für einen Faltprospekt verteilt, der die Gaggenauer Produkte in Versform pries:
„In des Murgtals finstern Gründen,
Wo die Murg zu Tale rollt,
Dort ist ein Juwel zu finden,
Benz-Gaggenau ist’s! Seid ihm hold.
Das Werk selbst will ich nicht besingen,
Nein, jenes Werkes Werke nur,
O möge der Gesang gelingen,
Lobpreisend folg‘ ich Benzens Spur!
Des Motors Kraft, des Werkes Stärke
Bedenke wohl!
Schau Dir die Marke an und merke:
Niemals soll
Man aus Versehen andre wählen,
Sei auf der Hut!
Mit Gaggenau brauchst Du Dich nie zu quälen,
Kauf‘ Benz, ich rat‘ dir gut!
Der Wagen ist erprobt und stark
Und kräftig bis ins Rückenmark!“
Erste Diesel-Motoren in Lastwagen
Die nächsten Meilensteine in der Geschichte des Werkes Gaggenau waren dann 1923 der Einbau der ersten Mannheimer Diesel-Motoren in Gaggenauer Lastwagen sowie 1926 die Fusion von Daimler und Benz. Dabei wurde Gaggenau das zentrale Nutzfahrzeugwerk der beiden bisherigen Wettbewerber.
Technische Literatur
Literaturempfehlung
… zur Technik der Benz-Gaggenau-Traktoren: Werner Schmeing, Hans-Jürgen Wischhof „Traktoren der Daimler AG – Band 1“, Frankfurt 2015
… allgemein: Der Benz für die Bauern – Traktoren, Straßen- und Ackerschlepper von Benz”, Uwe Heintzer in BENZ&CIE. – Zum 150. Geburtstag von Karl Benz, Stuttgart 1994
Erstveröffentlichung im Badischen Tagblatt vom 21. September 2021
Fotos: Daimler AG und Sammlung Wessel
Der gesamte Prospekt für den Benz-Gaggenau-Traktor von 1921