Der vergessene Schützenpanzer aus Gaggenau

Unimog-SH, noch ohne Geschützturm, bei Vorführungen vor Offizieren aus Kanada, Frankreich und der Bundesrepublik auf dem Gaggenauer Testgelände „Sauberg“. Die künstlichen Sprenglöcher im Gelände wurden eigens für diese Tests angelegt.

Trotz Sympathie des damaligen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauß wurde der Unimog SH nicht zum Erfolgsmodell

Von Carl-Heinz Vogler

Die sogenannten Sitzproben, auf den Pritschen oder in den Fahrzeugen im Versuchsstadium, waren auch beim Stückzahlenprimus Uni­mog 404 (Unimog-S) ange­sagt. Dahinter standen vor über 60 Jahren meistens die Lastenhefte der Militärs und der Polizei. Ein typisches Bei­spiel ist der bei vielen Unimog-lern bereits vergessene Heckmotoren-Unimog SH.

Da bei den kleinen Unimog, wie dem U 2010, U 401, U 411 sowie dem Serien-Unimog 404 (Unimog-S), eine Beschusssi­cherheit nicht gegeben war, wurde von den Militärs 1955, unmittelbar vor Serienbeginn des Unimog 404, ein leicht ge­panzertes Fahrzeug mit den Geländeeigenschaften des Uni­mog 404 gefordert.

In den Vorgaben war zu le­sen, dass der „Neue“ beschuss­sicher, niedrig, wendig, schnell und voll geländetauglich sein sollte. Er musste neun Solda­ten und zusätzlich den Fahrer aufnehmen können. Des Wei­teren ist der gepanzerte Ge­schützturm mit starker Bewaff­nung wie Kanone oder Rake­ten auszustatten. Die Unimog-Konstrukteure, unter der Pro­jektleitung von Dipl.-Ing. Hans Goebel, legten diesen „Minipanzer“ als Baumuster 405.110 fest und nannten ihn Unimog-SH. Das H steht für Heck, denn dorthin wurde der ur­sprüngliche Frontmotor, ein Benziner Typ M 180 mit 90 bis 95 PS, verlagert. Vor dem Bordschützen saß leicht nach rechts versetzt und erhöht der Fahrer direkt über der Vorder­achse. Die Bauart der Fulmina-Lenkung des 1. Prototypen zwang zu einer beengten und unsicheren Position für den Fahrer, was zur Folge hatte, dass man sich für die ergono­misch bessere ZF-Lenkung aus Friedrichshafen entschied. Die restlichen Mitfahrer wurden je nach soldatischer oder polizei­licher Funktion im Fahrzeug entsprechend der abgebildeten Sitzprobe in der Bodenwanne untergebracht. Die beengten Sitze der Soldaten waren direkt über den Munitions- und Waf­fenkisten positioniert.

Sitzprobe mit neun Personen für den Unimog SH. Hier mit der erhöhten Sitzposition, vorne in der Mitte, für den Bordschützen (Foto mit Norbert Rieger aus Michelbach).

 

Kritischer Vorfall auf dem Sauberg

Besagte Wanne hat bei die­sem System eine tragende und stabilisierende Funktion. Be­reits 1955 fertigte man im Uni­mog-Versuch in Gaggenau die ersten SH-Fahrgestelle für den Bundesgrenzschutz (BGS). Auch die erste beschusssichere Variante mit 5 bis 6 mm Blechen und frontseitig mit 8 mm Ble­chen wurde in Gaggenau dar­gestellt. „Bei Vergleichsfahrten zwischen dem Unimog-S und dem Unimog SH auf den Stre­cken Michelbach, Moosbronn, Bad Herrenalb und Gernsbach haben wir festgestellt, dass ge­rade in den Kurven der SH, wegen des günstigeren Schwer­punktes, schneller und wendi­ger war als der Unimog-S“, so Zeitzeuge Norbert Rieger aus Michelbach.

Zu einem sehr kritischen Vorfall kam es auf dem Testge­lände Sauberg mit einem Unimog-SH ohne Aufbau. Während einer Querfahrt an einer der sehr steilen Rampen kippte der SH um und begrub den späteren Abteilungsleiter Unimog-Versuch, Heinz Rinkel, unter sich. Durch das schnelle Eingreifen mit provisorischem Gerät konnte Rin­kel unverletzt gerettet werden. Danach wurden alle Versuchsfahrzeu­ge mit einem Rohrschutzrah­men, ähnlich einem Überrollbü­gel, ausgestattet.

Nach diesem Versuchsstadi­um bekam der allradbetriebene „Minipanzer“ ab 1958 bei der Firma Ruhrstahl in Witten-An­nen den beschusssicheren Versuchsaufbau. In die frontseitig angebrachte Panzerstahlplatte wurde ein schusssicheres Fens­ter für den Fahrer eingesetzt.

Die Sicht des Fahrers war durch dieses frontseitige „Guckloch“ sehr einge­schränkt, so dass Beifahrer beim Navigieren mithelfen mussten. Der Radstand lag, analog den ersten U 404, bei 2350 Millimeter. Das Vorse­rienfahrzeug des SH diente nun der schwedische Firma Landsverk in Landskrona als Musterfahrzeug für einen ge­panzerten Spähwagen. Von Schweden aus wurde das Equipment des Unimog-SH in­nen und außen dem Einsatzge­biet, entsprechend dem Kun­denwunsch, komplettiert. Schweden übernahm danach auch die Auslieferung.

Der Nachfolger nannte sich Unimog-T

Der erste Einsatz dieses Uni­mog-SH war nicht bei der neu gegründeten Bundeswehr, son­dern 24 davon wurden von der belgischen Regierung für die militärische Polizei ihrer afrika­nischen Kolonie Belgisch-Kongo, bestellt. Das Land hieß von 1971 bis 1997 Zaire und ist heute die Demokratische Republik Kongo. Neun SH hat man 1962 ausgeliefert, und we­gen der bürgerkriegsähnlichen Unruhen haben die Schweden die 15 restlichen Fahrzeuge zu­rückbehalten und eingelagert. Diese 15 Fahrzeuge, plus zwei Vorführfahrzeuge, eines von Ruhrstahl, das andere war ein Landsverk Nachbau, kaufte 1972 die Sicherheitsabteilung der APC in der Republik Irland zu einem Schnäppchenpreis, denn Schweden wollte die Fahrzeuge loswerden.

Trotz der gut gelaufenen Vor­führungen auf der Bonner Hardthöhe im Beisein des da­maligen Verteidigungsministers Franz-Josef Strauß, der sich schnell mit dem Unimog SH angefreundet hatte, äußerten sich einige Generäle und Stabsoffiziere kritisch über die zu geringe Raumhöhe für die Insassen, denn diese würde nicht dem Größendurchschnitt der Bundeswehr-Soldaten ent­sprechen. „Dann sorgen sie halt für einen niederen Durchschnitt“, gab F. J. Strauß den Offizieren laut Zeitzeuge Rieger, der in Bonn mit dabei war, zur Antwort. Weitere Vorfüh­rungen bei europäischen Mili­tärs, wie zum Beispiel in Frankreich, brachten keine weiteren Aufträge.

Nach Sichtung aller zur Ver­fügung stehenden Unterlagen geht man heute davon aus, dass 34 SH-Fahrgestelle in Gaggenau gebaut wurden. Sechs davon gingen nach Indi­en. Zwei Unimog-SH schlum­mern heute im Nationalen Transportmuseum in Dublin und im englischen Militärmu­seum in Muckleburgh. Unmog-Fans haben davon zwei weitere SH-Torsos bei in- und ausländischen Sammlern aus­findig gemacht. Einer davon wird seit geraumer Zeit origi­nalgetreu restauriert und bei Gelegenheit im Unimog-Museum vorgestellt.

Die Bundeswehr sah beim SH noch Handlungsbedarf, denn er wurde Vergleichen mit damaligen kettenbetriebenen Schützenpanzem-Hotchkiss unterzogen. Der weiterentwi­ckelte SH wurde nun Uni­mog-T genannt und hatte den Radstand 2 900 Millimeter, mehr Platz im Innenraum so­wie die wuchtige Bereifung 14,5-20, mit einer dadurch er­höhten Bodenfreiheit. Der Mo­tor wurde vom SH übernom­men. Die strategischen Ziel­gruppen waren Funk- und Sa­nitätskompanien und die Gre­nadierbataillone. Ende 1962, F. J. Strauß war nicht mehr Ver­teidigungsminister, wurden die­se Fahrzeuge der Bundeswehr vorgestellt, aber die erhofften Bestellungen blieben aus, wie schon beim Unimog-SH.

Allerdings dienten der Bun­deswehr diese Erfahrungen mit dem „T“ der Konzeption für den sechsrädrigen Transport­panzer Fuchs.

Mit über 800 Stück erfolgte später durch den leistungsstär­keren Unimog UR 416 der Durchbruch mit diesen „Son­dereinsatzfahrzeugen“ und dies hauptsächlich bei den Militärs in Südamerika und bei der deutschen Polizei sowie dem Grenzschutz. Die Ära der be­schusssicheren Sondereinsatzfahrzeuge geht heute mit dem Dingo 2 weiter. Während Mer­cedes-Benz Fahrgestell und Antriebsstrang der modernen Baureihe 437.4 beisteuert, stammt der gepanzerte Aufbau von der Münchener KMW.

Fotos: Sammlung Vogler/Daimler AG

Erstveröffentlichung im Badischen Tagblatt vom 15. August 2020

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