Im Mai starteten wir die Serie „70 Jahre UNIMOG-Idee“ – nachzulesen hier in der Unimog-Community. Die Recherchen gestalteten sich gelegentlich wie Kriminalistik und der “Kommissar Zufall” half auch diesmal mit. So bei der Vorbereitung für den September-Beitrag, denn da fiel mir einen Aufzeichnung von Albert Friedrich in die Hände, die endlich Klarheit darüber schafft, wann er seine Ideen zur Entwicklung eines universellen Motorfahrzeuges für die Landwirtschaft entwickelte.
1960 schreibt Friedrich in seinem „Auszug aus der Entwicklungsgeschichte des UNIMOG-Fahrzeugs“:
„Oktober 1944 – Der 2. Weltkrieg war zu diesem Zeitpunkt bereits in eine kritische Phase eingetreten, sodass Allen Klarheit über das Schicksal Deutschlands gegeben war. Der Morgenthauplan war in Amerika verkündet worden, der besagte, dass die Zukunft Deutschlands nicht mehr in einer industriellen Entwicklung liegen werde, sondern dass die Landwirtschaft das einzige Ziel einer Weiterentwicklung sein könne.
In dieser Zeit fasste der damalige Leiter der Flugmotoren-Entwicklung der Daimler-Benz A. G., Albert Friedrich, den Grundgedanken zu einem landwirtschaftlichen motorisch aufgebauten Gerät, das gegenüber dem damals bekannten Ackerschlepper und seinen Zusatzgeräten eine neue Linie aufweisen sollte. Er unterhielt sich mit Bauern über die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit eines zukünftigen Fahrzeuges dieser Art, um nach Kriegsende auch bei Daimler-Benz eine Entwicklung einleiten zu können, die für den damals überschaubaren Friedensbedarf eine besondere Note darstellen würde.
April/Mai 1945 – In dieser Zeit ging der Krieg seinem Ende entgegen und Herr Friedrich war in Schwäbisch Gmünd von den Amerikanern überrollt worden (19. 4. 1945). In dieser Zeit der schlechten Möglichkeit, technische Arbeit und technische Gedanken neu anzubringen, begann er am 12. Mai 1945, also kurze Zeit nach der Überrollung, mit den ersten Skizzen zu dem gedachten Motorgerät für die Landwirtschaft. Ein Fortkommen aus Schwäbisch Gmünd und ein Zurückgehen nach Stuttgart-Untertürkheim war damals durch die militärischen Vorschriften nicht möglich und so bildete diese erste Arbeit eine wesentliche Entlastung für ihn selbst.“
Soweit der hoch interessante Auszug aus der Entstehungsgeschichte des späteren Unimog.
Jetzt zum September 1945:
Für eine Sitzung des Vorstands der Daimler-Benz AG bereitete Albert Friedrich eine Denkschrift zur Fertigung eines universellen Landgeräts vor. Dazu fertigte Walter Benseler am 7. September im Maßstab 1 : 10 eine bemaßte Reinzeichnung. Diese basiert im Wesentlichen auf seiner Skizze vom 4. August 1945. Der vorn vorgesehene Mähbalken ist darauf inzwischen nicht nur angedeutet sondern ausgeführt, beim Laderaum sind Türen statt Klappen zu erkennen. Es wird zudem deutlich, dass es nur einen Fahrersitz geben soll. Auf dieser Zeichnung ziert ein Mercedes-Stern das Fahrzeug.
Für die Sitzung, so erzählte Erwin Sturm 1991, wurde auch ein Holzmodell angefertigt. In der Denkschrift beschreibt Friedrich bereits eine mögliche Zusammenarbeit mit Erhard & Söhne in Schwäbisch Gmünd.
Aber der Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Haspel reagierte nicht positiv. Alle Energie solle in den Wiederaufbau der Fertigung von Personenwagen fließen, und er soll sogar gesagt haben: „Wir sind eine anständige Automobilfabrik und kein Traktorenwerk!“ – so Albert Köhler in seinen Erinnerungen „Vom Landgerät zum Unimog“ im Band 3 der „Geschichten rund um den Unimog“.
Gespräche in Hohenheim
In seinen Auszügen aus der Entwicklungsgeschichte des Unimog-Fahrzeugs“ schreibt Albert Friedrich: „Es fanden Besuche an der landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim statt und der damalige Professor Dr. Fischer-Schlemm gab einzelne Hinweise auf die traditionellen Erfordernisse der Ackerschlepper, ohne sich selbst mit dem Grundgedanken des UNIMOG befreunden zu können.“
Im Protokoll einer Besprechung in Hohenheim am 13. September 1945 heißt es:
„Unter Vorlage einer Übersichtszeichnung des motorgetriebenen Universalgeräts für die Landwirtschaft sind der Reihe nach folgende Punkte besprochen worden:
- Herr Prof. Fischer ist der Ansicht, daß für ein landwirtschaftliches Gerät beim Pflügen auf alle Fälle der Führersitz hinten angebracht sein muß, damit eine dauernde Beobachtung des Pfluges und anderer angezogener Geräte möglich ist.
- Der Pflug soll möglichst fest mit dem Zugfahrzeug verbunden sein. Beim Bedienen des Pfluges bezw. zum Ausheben aus der Furche wird eine hydraulische Hebevorrichtung empfohlen.
- Herr Prof. Fischer schlägt für alle Arbeiten vor, daß die Geräte geschleppt werden, auch die Mäheinrichtung vor dem Fahrzeug wird als ungünstig angesehen. Am besten soll der Mähbalken rechts vom Schleppfahrzeug angebracht werden.
- Als max. Motorleistung für ein mittleres bezw. für ein Kleingerät werden 25 PS genannt.
- Die jährliche Stundenleistung beträgt erfahrungsgemäß etwa 1 000 Stunden, kann aber bis zu 3 000 ansteigen. Als Mindestlebensdauer werden 8 Jahre bezeichnet. Leistungen von 45 – 60 PS und max. 120 PS bedürfen bereits des Raupenantriebs.
- Mit Rücksicht auf den Reihenabstand von Hackfrüchten soll die Reifenbreite nicht zu groß sein. Die vorgesehene Breite von 160 mm ist noch zulässig.
- Die Spurweite von Landfahrzeugen bezw. Schleppern ist genormt mit 1250 mm. Die Räder sollen aber umstellbar sein, so daß eine Spurweite von 1450 mm ebenfalls möglich ist.
- Als Lenkung wird Vorderradlenkung empfohlen. Der Lenkausschlag soll so groß als irgend möglich gemacht werden. Für die Erreichung eines kleinen Wendekreises wird bei vorhandenen Schleppern Abbremsung der einzelnen Hinterräder angewendet (Lanz, Aulendorf).
- Die Bodenfreiheit soll ebenfalls möglichst groß gestaltet werden. Eine amerikanische Konstruktion (Allis Chalmes Schlepper 25 PS) legt eine Hinterrad-Untersetzung mit Stirnrädern auf die Hinterachse direkt vor die Antriebsräder, um die Bodenfreiheit zu vergrößern. Die Vorderachse ist bei diesem Fahrzeug nach oben gebogen, ebenfalls zur Erreichung großer Bodenfreiheit.
- Der automobile Charakter eines Universalgerätes wird sehr begrüßt.
- Der Antrieb einer Säeinrichtung wird als nicht unbedingt erforderlich bezeichnet. An Hand von verschiedenen Ausführungen erklärte Herr Prof. Fischer die Schwierigkeiten des maschinellen Säens.
- Von einem Lanz- (Mannheim) 15 PS-Schlepper wurde das Gewicht mit 1200 kg und der Preis mit RM 2750.- angegeben.
- Hydraulische Kupplungen werden bis jetzt lediglich als Schutzkupplungen verwendet.
- Der Reifenluftdruck im Acker bezw. beim Schleppen wird mit 1,0 atü als Norm bezeichnet.
- Rohrrahmen bezw. rahmenlose Fahrzeuge und Schlepper werden als sehr günstig angesehen.
- Die Riemenscheibe für stationäre Antriebe soll in Fahrtrichtung abtreiben können wegen der guten Möglichkeit einer Einstellung der Riemenspannung. Riemenscheiben-Durchmesser ungefähr 500 mm, Drehzahl 600/min. Drehzahl von vorhandenen Dreschmaschinen ungefähr 1200/min.
- Sogenannte Zapfwellen zum Antrieb geschleppter Geräte müssen auf alle Fälle vorgesehen werden. Mähbinder, Mähdrescher und dergl. sollen ihren maschinellen Antrieb von den Laufrädern des Gerätes nicht erhalten, sondern eben über Zapfwellen des Schleppers.”
Es war offensichtlich ein sehr inhaltsreiches Gespräch, das die Herren Friedrich, Dr. Rothe, Sturm und Birk von Seiten Daimler-Benz mit Professor Fischer-Schlemm im Beisein ihres landwirtschaftlichen Beraters Grass führten.
Gespräch in Schwäbisch Gmünd
Am gleichen Tag, dem 13. September 1945, fand in Schwäbisch Gmünd ebenfalls ein „inhaltsschwangeres Gespräch“ statt, das Eduard Köhler protokollierte:
„Eine schriftliche Nachricht von H. Direktor Friedrich an mich enthielt den Vorschlag, nach kapitalkräftigen Interessenten für seine Konstruktion Ausschau zu halten. Er gab in diesem Schreiben den gesamten Kapitalbedarf bis zum Anlauf mit 1,2 Millionen bekannt.
Mir ist allerdings unklar, da er das Wort „Einrichtungen“ gebrauchte, ob dabei auch vorhandene Einrichtungen von mitmachenden Betrieben gewertet sind. H. Friedrich sprach ursprünglich nur von RM 300 000,- für den Anlauf. Es ist selbstverständlich ausgeschlossen, dass wir uns kapitalmässig grösser beteiligen können, auch werden sich wohl bis zum möglichen Verkaufstermin der Fahrzeuge (Frühjahr 1947) für uns andere Möglichkeiten finden.
Es ist dagegen notwendig, dass wir, solange wie möglich, mitmachen. Einmal, um den Nachweis „landwirtschaftliche Entwicklungen“ zu erbringen, ausserdem muss unser Ziel bleiben, den Anschluss an „landwirtschaftliche Zusatzgeräte“ zu finden.
Ich suchte deshalb H. Dr. May auf, um mit ihm freundschaftlich über eine Teilnahme an dem Geschäft zu sprechen. Nach Klarlegung der technischen Fragen urteilte H. Dr. M. nicht ungünstig und meinte, dass eine Übernahme des benötigten Betrages durch ihn durchaus möglich wäre, doch besteht z. Zt. völlig Unklarheit, war ihm verbleibt. Die ihm gehörenden Sachwerte der Collis-Metallwerke sind ausgeraubt. Sein Vermögen ist z. Zt. beschlagnahmt. Da er nicht Parteigenosse war, jedoch Wehrwirtschaftsführer, lässt sich noch nichts überblicken.
Dr. M. ist ganz allgemein der Ansicht, dass der Anlauf mit neuen Artikeln mit äusserster Vorsicht betrieben werden müsse, da
- mindestens bis zum Jahr 1946 die Störungsversuche derartig sein werden, dass nichts recht gelingt,
- glaubt er, dass die Industrie-Spionage der Amerikaner sich besonders auf diejenigen Werke ausdehnen werde, die im Begriff sind, aus den Trümmern wieder etwas Brauchbares zu erreichen. Zu fürchten seien dabei besonders Offiziere mit den Buchstaben „SG“ (sciantific councellor) auf der Schulter (wissenschaftliche Berater).
Nach seiner Ansicht werden Betriebe, die besonders erfolgversprechend sind, nach ‚Überwindung der Hauptschwierigkeiten jüdischen Inhabern übergeben. Es kann sich dabei um Vermutungen handeln, jedoch ist Vorsicht am Platze, besonders in der Geheimhaltung aller Pläne auch gegenüber Deutschen.
Dr. M. gibt zu, dass im Falle Dr. Friedrich die lange Vorbereitungszeit günstig ist, da im Jahre 1947 die Lage vielleicht übersichtlicher ist.
Als Risiko bezeichnet auch er die dann bestehende Kaufkraft und die Absicht der amerikanischen Grossindustrie.“
Dieses Protokoll von Eduard Köhler ist nach meiner Einschätzung ein besonders wertvolles Zeitdokument. Vermittelt es doch sehr anschaulich die Situation, in der sich die Unternehmer kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges befanden, welchen Zwängen sie ausgesetzt waren und welche Sorgen und Hoffnungen sie hatten.
Michael Wessel
Die Serie wird monatlich fortgesetzt.
Quellen: Eva Klingler, Michael Wessel: „Geschichten rund um den Unimog“, Band 1, Ettlingen 1992, Michael Wessel: „Geschichten rund um den Unimog“, Band 3, Gaggenau 2009 und Werner Schmeing, Hans-Jürgen Wischhof „Traktoren der Daimler AG“ Band 1, Frankfurt 2009