Willi Seitz zählt zu den Unimog-Pionieren. Als Vorführer war er in 26 Ländern der Erde und so resümiert er heute mit 91 Jahren: „Das ich ein langweiliges Leben hatte, könnte ich nicht sagen!“. Viele Einsätze führten ihn und den Unimog bis an die Belastungsgrenzen aber sein Motto war stets: „Es gibt nichts, was nicht geht!“
Einmal musste er am Ende von vielen Versuchen jedoch feststellen, dass der Unimog für die Schilfernte in Rumänien leider doch zu schwach motorisiert war. Im Band 1 der „Geschichten rund um den Unimog“ schreibt Willi Seitz nach einem Bericht über einen Test in Nordafrika:
„Unser Abenteuer in Marokko sollte natürlich nicht das einzige bleiben. In die Reihe der Probeeinsätze für den Unimog unter ungewöhnlichen, ja extremen Bedingungen passt auch unser Aufenthalt im rumänischen Schilf.
Ein Professor hatte herausgefunden, das Schilf einen wesentlich höheren Zellulosegehalt hat als Holz. Und Schilf gab es genug – besonders im Donaudelta, wo die Donau in das Schwarze Meer mündet. In diesem Gebiet wird das Schilf bis zu sechs Meter hoch, und zwar vor allem in einem der drei Kanäle, in die sich die Donau teilt, nachdem sie bei Braila zunächst einen Knick macht: nämlich dem Sulina-Kanal, der als einziger schiffbar war. Der St. Georgs-Kanal war für Motorfahrzeuge verboten, da dort Störe für Kaviar gezüchtet wurden. Der Kilija-Kanal verläuft bis zur russischen Grenze, an der heute die Republik Moldavia liegt. In diesem Areal also wuchsen 300.000 Hektar Schilf, ein Drittel davon galt als erntbar. Und dafür wollte man nun den Unimog ausprobieren.
Wir hatten zuvor bereits die Schilfernte mit dem Unimog am Neusiedler See getestet, wo es ebenfalls Schilf und mooriges Gelände gab. Otto Pfeifer (Anmerkung: Otto Pfeifer war ein Kollege) hat sich damals damit beschäftigt. Diese Arbeit war nicht ganz ungefährlich, denn am Neusiedler See gab es noch Bombentrichter aus dem 2. Weltkrieg, und gleich zu Beginn seiner dortigen Versuchsreihe fuhr er in ein solches Loch. Da der Unimog kein U-Boot und das Wasser im Donaudelta noch tiefer ist, war für Otto Pfeifer das Thema Schilfernte erledigt.
Also musste für diese Aufgabe ein anderer gefunden werden, und bald bereitete ich mich auf den Einsatz in diesem östlichen Land vor.
Im Vorfeld wurde der Unimog schon mal für diesen Spezialauftrag etwas umgerüstet: Er erhielt breitere Reifen mit Gitterrädern, durch die er eine bessere Auflage am Boden haben sollte und dadurch wendiger Druck ausübte. Diese Räder hat man auch gerne zum Drillen (Säen) verwendet.
Die Unimog wurden uns vorausgeschickt, Rudolf Bernd (Anmerkung: Werksdelegierter für den Ostblock) und ich folgten mit dem Zug. Ziemlich durchgeschüttelt kamen wir nach 48 Stunden in Rumänien an. Besonders der letzte Teil der Reise auf dem Balkan war recht abenteuerlich, denn außer den menschlichen Passagieren reisten auch allerlei Tiere mit uns im Zug mit.
In Bukarest wurden wir von dem sogenannten Schilfminister und einem deutschen Ingenieur, der in Rumänien lebte, begrüßt. Von Bukarest aus führte die Reise weiter nach Tulcea, diesmal mit einer sehr betagten Propellermaschine, in der wir auf Kisten hockten und hofften, heil unser Ziel zu erreichen.
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Von Tulcea aus wurden wir mit Schaluppen an unseren Einsatzort im Schilf gebracht. Man wies uns dort unsere Unterkünfte zu, einfache Schilfhütten ohne Strom.
Abends um neun wurde der Generator für die Stromversorgung abgestellt, dann war Feierabend! Gewaschen haben wir uns in der Donau, an fließendes oder gar warmes Wasser war nicht zu denken.
Und dann wandten wir uns der eigentlichen Aufgabe zu, für die wir extra so weit aus Deutschland angereist waren.
Das Schilf wuchs aus dem Wasser, umgeben von morastigen und moorigen Böden. Geerntet werden musste es zehn Zentimeter über der Wasseroberfläche, denn das Schilf benötigt Sauerstoff an den Wurzeln, damit es jedes Jahr wieder hochwachsen kann.
Das beste Schilf fand man übrigens auf den sogenannten Blauers, das sind schwimmende Inseln, die ihren Standort verändern und deshalb sehr gefährlich sind, wenn man in den Kanälen die Orientierung verliert.
Bis dahin wurde das Schilf von Sträflingen geerntet, und zwar war es mit Buschmessern abgehackt und dann gebündelt worden. 50 Bündel pro Tag mussten die Gefangenen schneiden. Nachts waren sie auf einem Schiff im Schilf untergebracht, von dem aus eine Flucht unmöglich war.
Für das Projekt der Schilfernte hatten sich vier Staaten zusammengetan. Rumänien sollte die Rohware liefern, Polen für den Transport sorgen und die CSSR und die DDR die Verarbeitung übernehmen. Man glaubte, in der Lage zu sein, jährlich 100.000 Tonnen Schilf verarbeiten zu können.
Das war also die Lage, die wir im April des Jahres 1958 vorfanden. Nun galt es, an die Arbeit zu gehen.
Zunächst unternahmen wir vor Ort einige Versuche, mit den Unimog in das Schilf vorzudringen. Wir führten ein Seil und eine Raupe mit, um das Fahrzeug bei Bedarf wieder aus dem morastigen Gelände herauszuziehen, dann man konnte zwar auf dem Schilfboden und dem Wurzelwerk fahren, wusste aber niemals genau, wie tief das Gelände unter den Rädern wirklich war.
Für die Ernte hatten wir seitlich an das rechte Hinterrad eine Art Bindemäher zum Abschneiden des Schilfs angeflanscht; er wurde von einer Zapfwelle angetrieben und schnitt das Schilf waagerecht ab, worauf es gebündelt und mittels einer Laufkette auf den Anhänger transportiert wurde.
Man muss bedenken, dass alle diese Aggregate von einem Unimog mit 32 PS angetrieben wurden – eine beachtliche Leistung! Das war natürlich keine einfache Aufgabe und, um besser zurecht zu kommen, haben wir verschiedene Experimente durchgeführt. Beispielsweise probierten wir eine Tandemkonstruktion mit zwei nebeneinandergekoppelten Unimog aus, um leichter und sicherer in das Schilf hineinfahren zu können.
Ideal war für uns eigentlich die Situation, wenn das Wasser zu Eis gefroren war. Dann konnte man nämlich ohne weiteres in das Schilf einfahren, aber ohne Risiko war auch diese Situation nicht, denn man wusste natürlich nie, wie dick die Eisschicht war. Das fiel mir aber erst auf, nachdem alle meine einheimischen Mitfahrer auf dem Unimog – worunter übrigens auch Ingenieurinnen waren, die man aber in ihren Uniformen kaum als Frauen erkennen konnte – das Fahrzeug bei Einfahrt in das vereiste Schilfgebiet flugs verließen. Erst da habe ich die lauernde Gefahr erkannt und ebenfalls den Unimog verlassen. Ertrinken – so sagte ich mir damals – kann ich auch alleine, dazu brauche ich keinen Unimog. Das Fahrzeug habe ich dann mit dem Kriechgang versehen und erst mal alleine losgeschickt … es ist ihm aber glücklicherweise nichts passiert.
Das war das erste Jahr unserer Versuche im Schilf. Im zweiten Jahr verschiffte man uns auf Schaluppen mitsamt dem Unimog, der mittels zweier Bretter, die als Rampe dienten, auf die Schiffe hinauftransportiert wurde. Eine ziemlich waghalsige Sache, aber auch da ging alles gut.
So haben wir Versuche auf den Inseln unternommen; jeden Tag an einem anderen Einsatzort, und abends musste dann noch der Bericht geschrieben werden.
Unsere Übernachtungsmöglichkeiten in jener Zeit waren ebenso bunt gemischt wie die täglichen Einsatzorte des Unimog. Einmal haben wir sogar in Ulbrichts Jagdhütte geschlafen.
Wir selbst befanden uns in wechselnder Besetzung in Rumänien – einmal schloss sich uns auch Heinrich Rößler (Anmerkung: Leiter der Unimog-Konstruktion) an. Ich entwickelte mich nach und nach zu einer Art Vertrauensperson für die Rumänen. Wenn der Schilfminister nach Gaggenau kam, um mit der Werkleitung zu verhandeln, was mehrmals vorkam, hat er immer erst mit seinen Ausführungen begonnen, wenn auch ich anwesend war.
Was aber unser Fahrzeug anging, so stellte sich im Laufe der Zeit doch heraus, dass der Unimog einfach zu schwach für diese Aufgabe war. Die Reifen schienen zu klein und der Motor für die vielen zusätzlichen Aggregate nicht stark genug.
Obwohl man die Versuche im Schilf 1960 abbrach, waren unsere Erfahrungen in Rumänien ein weiterer Schritt auf dem Weg, den Unimog unter schwierigsten Verhältnissen auszutesten und ihn weiter zu verbessern.
Für mich persönlich brachten die Jahre in Marokko und Rumänien sehr wertvolle Erfahrungen, denn ich lernte andere Länder und Menschen kennen und bewegte mich mit meinem Unimog in den außergewöhnlichsten Situationen.“
Soweit der Einsatzbericht von Willi Seitz über die Versuche zur Schilfernte in Rumänien in den Jahren 1958 bis 1960. Weitere Erlebnisschilderungen aus den Pionierjahren des Unimog in „Geschichten rund um den Unimog“, Band 1 und Band 3 über www.buchundbild.de